Der Kanadier Yannick Nézet-Séguin ist der grosse Feminist unter den Pultstars. Beim letzten Luzerner Sommer-Festival stellte er die afroamerikanische Komponistin Florence Price mit ihrer mitreissenden Ersten Sinfonie vor, diesmal hat er ein Werk der 1918 mit nur 24 Jahren verstorbenen Französin Lili Boulanger aufs Programm gesetzt. Es markiert ihren Abschied von der Welt: ein zartes Tongemälde, das bei aller Schönheit doch eine tiefe Traurigkeit birgt. Auf das Jenseits, auf die Vereinigung mit Gott zielen auch Anton Bruckners Werke, die freilich ganz andere Dimensionen und Klangwelten durchmessen als Boulangers Miniaturen. Seine Achte hat Bruckner selbst als «Mysterium » bezeichnet, ohne allerdings ihr Geheimnis zu verraten. «In allen Bruckner-Sinfonien gibt es einen religiösen Aspekt – ein mystisches, spirituelles Moment», weiss Nézet-Séguin. Und bezeichnet die Natur als zweite Inspirationsquelle für den oberösterreichischen Komponisten: «Die Bäume, die Bäche, die Blumen, die Vögel, der Himmel, die Unwetter – all das vermischt sich auf sehr romantische Art mit den menschlichen Zweifeln Bruckners und seinen Leidenschaften.»